Reisebericht: Peloponnes, Griechenland

Juli, August 1992

Eine wunderbare Reise mit dem Motorrad ins antike Griechenland!


Peloponnes

Referat, HTL

Die Gesichter Spartas

Den heurigen Sommerurlaub verbrachte ich in Kardamili am Peloponnes. Aus diesem Grund beschäftigte ich mich mit Kultur und Geschichte Griechenlands, besonders mit der Geschichte Spartas, da im Reiseführer stand, daß mein Urlaubsort Kardamili unter dem Namen "Kardamyle" ein spartanischer Hafen gewesen war.

Besonders interessant fand ich einen Artikel von Ernest Borneman im Merian-Heft "Peloponnes", in dem er ein neues Bild von Sparta zeichnete.

Wie sieht das gängige Sparta-Bild aus ?

Etwa im 8. Jhd vor Christus eroberten die Dorer den Peloponnes und gründeten 5 Siedlungen am Ufer des Flusses Eurotas. Sie schlossen sich zu einem Staat zusammen, und Lykurg gab ihnen eine Verfassung. An der Spitze des Staates standen 2 auf Lebenszeit gewählte Könige. Außerdem gab es in Friedenszeiten den Rat der Alten, die Gerousia, der aus 28 Mitgliedern bestand und über Krieg und Frieden entscheiden konnte. Weiters gab es noch die Ratsversammlung und später die 5 Ephoren, die die beiden Könige kontrollierten. Deren Aufgabe war die Führung des Heeres und die Außenpolitik. Die spartanische Gesellschaft bestand aus 3 Klassen:

1. Die Spartiaten

Sie waren die Herrscher. Jeder Spartiate besaß ein Landgut mit Sklaven. Ihr Leben war dem Militär gewidmet, und sie wurden einer äußerst harten Erziehung unterzogen, weil sie zahlenmäßig den unterworfenen Bevölkerungsteilen weit unterlegen waren. Ab dem 7. Lebensjahr kam der junge Spartiate in die Obhut des Militärs, wo er eine harte Ausbildung erhielt. Mit 20 trat er in die Armee ein, mit 30 war er Vollbürger und Soldat bis zum 60. Lebensjahr.

2. Die Periöken

Auch "Umwohner" genannt, waren sie meist Händler und Handwerker und freie Bürger, die in den Dörfern rund um Sparta wohnten, aber keine Bürgerrechte hatten (z.B. kein Mitspracherecht in der Ratsversammlung).

3. Die Heloten

Das war die von den Dorern unterworfene Urbevölkerung. Sie waren vollkommen rechtlos und mußten als Sklaven unter schlimmsten Bedingungen auf den Gütern der Spartiaten arbeiten und konnten manchmal sogar bei rituellen Kraftproben der jungen Spartiaten getötet werden.

Die Heloten waren den Spartiaten zahlenmäßig weit überlegen.

Mit diesem Staatsaufbau gelang es Sparta, im Laufe der Zeit fast den gesamten Peloponnes unter seine Herrschaft zu bringen. Der sogenannte Peloponnesische Bund sicherte seine Vorherrschaft. Sparta war wesentlich an der Abwehr der Perser beteiligt, doch die einheitliche Front zwischen Athen und Sparta hielt nicht lange. Der darauf folgende jahrzehntelange Peloponnesische Krieg endete mit einer Niederlage Athens. Doch Sparta konnte die Vorherrschaft in Griechenland nicht lange behaupten und verlor 10 Jahre später den Krieg gegen Athen und Theben. Die Heloten bekamen ihre Freiheit, Sparta verlor seinen wichtigsten wirtschaftlichen Besitz und alle Versuche, die alte Macht wieder herzustellen, scheiterten. Sparta endete als römische Provinz.

[Zusammenfassung aus meinem Reiseführer]

Spartanisch und lakonisch

spartanisch = streng, hart, genügsam, anspruchslos, einfach

lakonisch (nach: Lakonien, Landschaft rund um Sparta) = kurz im Ausdruck, wortkarg, nach der schon im Altertum sprichwörtlich kurzen Redeweise der Spartaner

[Lexikon]

Beide Ausdrücke hatten im 18. und 19. Jahrhundert eine sehr positive Bedeutung, zuerst für das Bürgertum und dann für den Militarismus in Deutschland zur Zeit des Wilhelminischen Kaiserreichs.

[Reiseführer]

Die heutige Wortbedeutung empfinde ich als eher neutral. Das Bild von Sparta in den meisten Lehrbüchern ist aber eher negativ.

Das Sparta-Bild aus den Lehrbüchern

"Ein Spartaner erzählt: Schon bei der Geburt eines Kindes wird bei uns in Sparta ein gnadenloses Urteil gefällt. Das Neugeborene wird den Ältesten nackt gezeigt. Erscheint es ihnen zu schwach oder stellen sie einen körperlichen Mangel fest, wird es abgelehnt. Ein solches Kind wird in eine Schlucht am Rande des Taygetos-Gebirges geworfen. Die meisten meiner Landsleute sind nämlich der Meinung, daß Kinder, die nicht fähig sind, gesund und kräftig heranzuwachsen, keine Lebensberechtigung haben. (...) Die Erziehung ist darauf ausgerichtet, daß die jungen Spartaner aufs Wort gehorchen und Strapazen ertragen können. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich damals als Jüngling ganz kahl geschoren wurde und immer barfuß gehen mußte. Nachts schliefen wir auf Schilf, weil das bei Kriegszügen auch so ist. Ein besonderer Härtetest ist eine Art von Mutprobe im Tempel der Göttin Artemis. Die jungen Spartaner werden dabei blutig gepeitscht, und es ist kein Schmerzensschrei erlaubt. Leider gibt es dabei fast jedesmal Tote. Nach dem Ende des Waffentrainings müssen die jungen Krieger noch ein Überlebenstraining auf dem Land absolvieren. Sie rauben die Nahrung von den Feldern und gehen auf Jagd nach Heloten. Jeder soll mindestens einen Heloten töten."

[Meilensteine der Geschichte 2, Seite 53]

"Der Krieg war die Hauptbeschäftigung der Spartiaten: Disziplin, Einfachheit und Freude an den Waffen bildeten die Grundlage der Lebensform. (...) Die Genügsamkeit der Bevölkerung wurde sprichwörtlich. Die Spartaner verzichteten auf die Einfuhr fremder Waren und begnügten sich mit der Produktion der eigenen einfachen Güter. Damit sparten sie Geld, das sie für die vielen Kriege gegen ihre Nachbarn brauchten. (...) So wurde der Staat zu einer ängstlich bewachten Festung."

[Meilensteine der Geschichte 2, Seite 53]

"...Ihre Könige regierten streng und hielten die Bewohner in drückender Abhängigkeit. (...) Der einzelne konnte sein Leben nicht bestimmen, der Staat bestimmte über ihn und sein Eigentum. (...) Sie [Die Knaben] wurden in Gruppengemeinschaften streng und grausam erzogen. Oberstes Ziel war unbedingter Gehorsam. (...) Kein Wunder, daß in diesem ungastlichen Land die schönen Künste keine Heimat fanden und daß alles, was sich an griechischem Wissen, griechischer Bildung und griechischer Kunst erhalten hat, mit dem Namen des schönen und lebensfrohen Athen verbunden ist."

[Zeiten Völker Kulturen 1, Seite 54]

"Die kleine Minderheit der Spartiaten hatte also genug damit zu tun, sich an der Macht zu halten; ihre einzige Beschäftigung waren Wehrdienst und Politik. (...) Familienleben und höhere Kultur konnten sich nicht entfalten."

[Geschichte Sozialkunde Politische Bildung 6. Schulstufe, Seite 55 ]

"Der Glanz Athens erregte bald den Neid der Spartaner. Der Geschichtsschreiber Thukydides berichtet über die Ursachen des folgenden Krieges zwischen beiden Staaten: Je höher die Macht Athens stieg, desto schärfer wurde der Gegensatz zu Sparta. Für den eigentlichen Grund des Krieges aber, sowenig auch von ihm gesprochen wurde, halte ich dies, daß die Athener zu mächtig geworden waren, dadurch den Spartanern Angst einflößten und sie so in den Krieg trieben. "

[Wie? Woher? Warum? 2. Klasse, Seite 58]

Bezeichnend für obige Bücher ist die Tatsache, daß sie keine positiven Seiten der Spartaner zu berichten wissen.

Vor allem beim ersten Zitat wird dem jugendlichen Leser ein sehr grausames und abschreckendes Bild der Spartaner auf sehr subtile Weise vermittelt. ("Ein Spartaner erzählt...")

Auch "vergessen" alle Bücher darauf hinzuweisen, daß alle verwendeten griechischen Geschichtsschreiber (Thukydides, Herodot, Plutarch) Athener waren!

Das Buch "Hellas" von Nack/Wägner bemüht sich um eine sachliche Schilderung Spartas, die Autoren können sich aber eine "nette" Schlußbemerkung nicht verkneifen.

"Die Entwicklung zu höheren Lebensformen sollte dem jonischem Stamm vorbehalten sein, das helle Licht ewiger Kunst strahlte aus Athen."

[Seite 104]

Einige Bücher schildern Sparta kurz und sachlich

"Die spartanische Jugend wurde zu Ausdauer und Genügsamkeit erzogen. Bis zu seinem 30. Lebensjahr diente ein Spartiate im Heer. Dann erhielt er ein Landlos und Heloten zugewiesen und durfte eine Familie gründen. Aber er nahm weiter an gemeinsamen Mahlzeiten der Krieger teil und mußte stets bereit sein, in den Krieg zu ziehen. Diese Ordnung machte Sparta zu einem gefürchteten und oft auch bewunderten Kriegerstaat."

[Spuren in der Zeit 2, Seite 40]

Ebenso sachlich, aber ausführlicher informiert das Buch "Altertum" für die Oberstufe.

Über die Stellung der Frau in Sparta findet sich wenig in den Büchern, die ich durchgesehen habe. Nur das Jugendsachbuch "Was ist Was - Die alten Griechen" erwähnt kurz die Mädchen.

"Die Mädchen trieben Leibesübungen wie die Jungen; als erwachsene Frauen hatten sie allerdings mehr Zeit für persönliche Dinge als die Männer. Auch ihnen galt Leben und Sterben für Sparta als höchstes Ziel. Kehre mit ihm oder auf ihm zurück, soll einst eine spartanische Mutter ihrem Sohn gesagt haben, als sie ihm vor einem Feldzug den Schild übergab. Ohne Schild heimzukehren galt als ehrlos..."

Mein Reiseführer erwähnt einig Dinge, die mit dem gängigen Sparta-Bild kaum vereinbar sind.

"... ,daß zum Beispiel junge Spartiatinnen in fast nacktem Zustand im Artemistempel Fruhtbarkeitstänze aufführten. Nacktheit war überhaupt für die Spartiaten beiderlei Geschlechts ein Zeichen der Freiheit, auch der sexuellen. So war der voreheliche Verkehr eines Mädchens für die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts wie auch für die des antiken Athen ein absolutes Tabu, in Sparta hingegen die Regel. Deshalb wurden Ehen hier in einem viel späteren Alter geschlossen als im übrigen Griechenland."

[Reiseführer, Seite 325]

Ein anderes Sparta-Bild - gezeichnet von Ernest Bornemann

Kaum ein griechischer Stadtstaat hat weniger über seine eigene Geschichte berichtet als Sparta. Fast alle Berichte stammten aus Athen -Spartas Gegner. Daher scheinen einige Berichte ziemlich fragwürdig. Zwar haben jüngere Archäologen und Spartaforscher beachtliche neue Informationen über die Geschichte der Spartaner erbracht, aber fast nichts davon ist an die Öffentlichkeit gedrungen.

In ihrer Mythologie erwähnen die Griechen vier Stämme, die um 1150 vor Christus Hellas besiedelt (erobert) hätten: die Achäer, die Ionier, die Äoler und die Dorier. Aus keinem Bericht geht hervor, wie der Einmarsch dieser kriegerischen Wanderhirten auf die Ureinwohner der Balkanhalbinsel mit ihrem vertrauensvollen, jeglichem Verdacht der Überrumpelung fernen Tradition gewirkt haben muß. (Siehe auch Columbus und Co. in Mittel- und Südamerika!)

Die Frauen der Ureinwohner waren für die Griechen doppelt verachtenswert: Erstens, weil sie zum Volksstamm der Unterlegenen gehörten, die sich, wenn man sie angriff, nicht einmal wehrten, und zweitens, weil sie, wie das bei Eroberungen so üblich ist, nur zur hastigen Befriedigung herhalten mußten. Daher resultierte auch die traumatische Unfähigkeit der damaligen Griechen, die Frau als ebenbürtiges Wesen zu betrachten. Eine eigentümliche Mischung von Hörigkeit und Verachtung prägte das Geschlechtsleben der Achäer, Ionier und Äoler.

Die Dorer waren die einzigen, die ihre Frauen mitbrachten, deshalb gehörten die dorischen Siedlungen, darunter auch Sparta, zu jenen, die ihre Frauen wie ihre Männer behandelten - nämlich als Bürger.

Der Autor verwendet zwei Begriffe: Mutterrecht - für die Spartaner und Vaterrecht - für die Athener.

Da Sparta arm war und im ständigen Konflikt mit den unterworfenen Ureinwohnern lag, galt das Schwergewicht der Erziehung den Knaben, den werdenden Kriegern. Vom 6. bis zum 19. Lebensjahr mußten sie in die militärischen Ausbildungslager. Alles, was der Knabe auch nach seiner Ausbildungszeit tat, wurde sowohl im guten als auch im schlechten Sinne seinem Lehrer zugeschrieben. Der Lehrer war nicht nur dafür verantwortlich, daß sein Schüler sich Wissen aneignete, sondern auch für dessen Benehmen und vor allem für seine Tapferkeit. Weiters mußte der Lehrer jene Handlungen - wie zum Beispiel jede Lüge oder jede Ehrlosigkeit - vermeiden, deren er sich vor seinem Schüler zu schämen hätte.

Die didaktische Logik der Spartiaten lenkte ihr Augenmerk also auf den Lernenden, nicht auf den Lehrenden. In Athen war das umgekehrt. Wahrscheinlich haben die Spartiaten diese Logik von der Dichterin und Erzieherin Sappho, die einen kultischen Frauenbund, der der Mädchenbildung diente, leitete, übernommen. Das Sparta trotz seiner Armut überhaupt eine systematische Mädchenerziehung betrieb, ist zweifellos der mutterrechtlichen Tradition und der hohen Stellung der Frau zuzuschreiben. Die Mädchenerziehung lief darauf hinaus, die Körperkräfte der Frauen zu entwickeln, damit sie gesunde, starke Kinder zur Welt bringen können. Bis zum Ende des 6. Lebensjahrs wuchsen Mädchen und Knaben gemeinsam auf und erhielten im Elternhaus die gleiche Ausbildung. Ab dem 7. Lebensjahr gingen sie in separate Schulen, wurden aber danach noch oft in sportlichen Wettbewerben einander gegenübergestellt. Es war durchaus nicht selten, und galt für den Knaben auch nicht als Schande, daß ein Mädchen gewann. Selbst Ringkämpfe zwischen Mädchen und Knaben gehörten zur Norm der spartanischen Erziehung, die auch in diesem Sinne keineswegs "spartanisch" war. In den Ausbildungslagern wurde außer Leibesübungen auch Tanz, Musik und Gesang gelehrt. Der Unterricht im Schreiben und Lesen wurde bei den spartanischen Kindern allerdings auf ein Minimum beschränkt.

Die Athener haben die Spartaner stets als gutmütige Athleten, die von den höheren Dingen des Lebens nichts verstanden, hingestellt. Daß dem nicht so war, beweist die Tatsache, das schöpferische Tätigkeiten musischer Art bei den Spartanern weiter verbreitet war als bei den Athenern, die sich in Kunstproduzenten und Kunstkonsumenten aufspalteten, wobei die zweite Gruppe mehr und mehr überhand nahm. In Sparta dagegen sang und tanzte fast jeder. Die Spartiaten ließen jedoch keine Einrichtungen zu, an denen nicht jeder teilhaben konnte, deshalb gab es auch keine Prunkarchitektur.

Bis zum Alter von sieben Jahren gingen Mädchen und Knaben meist nackt. Beim Zug in den Artemistempel führten die jungen Spartanerinnen sogar im fast nacktem Zustand Tänze auf, die den Boden fruchtbar machen sollten. Die anderen Griechen hielten das für unsittlich, nicht etwa, wie die Altertumsforscher des 19. Jahrhunderts glaubten, weil die Griechen Nacktheit an und für sich für unsittlich hielten, sondern weil männerrechtliche Griechenstämme die Frau als Eigentum des Mannes betrachteten und es als Privileg des Herrschers empfanden, sie nackt zu sehen. Tatsächlich war die Demonstration von Nacktheit bei den Spartanerinnen Ausdruck ihrer Gleichberechtigung. Da sie frei waren durften sie mit jedem verkehren, der "würdig" war. Das heißt, mit jedem Mann, der Tapferkeit bewiesen hatte, egal ob Spartaner oder nicht. Der voreheliche Verkehr war in Sparta durchaus die Norm im Gegensatz zu Athen, wo dies verboten war. Deshalb heirateten die spartanischen Mädchen oft erst mit dem 24. Lebensjahr, viel später als die übrigen Griechinnen, die schon mit 12 oder 14 Jahren verheiratet wurden. Dadurch, daß die Spartaner eine längere Jugend verbrachten und auch mehr sexuelle Erfahrungen in die Ehe mitbrachten, versprach man sich zufriedene Bürger und bessere Ehen als im restlichen Griechenland. Uneheliche Kinder spartanischer Mütter wurden übrigens den ehelichen Kindern gleichgestellt. Wichtig war allein, daß es gesunden Nachwuchs gab und die Mutter eine Spartanerin war. Das Kind galt selbst dann als Spartiat, wenn der Vater Sklave oder Nichtspartaner war. Als Nichtspartiat galt jedes Kind einer Nichtspartanerin, selbst wenn der Vater König von Sparta gewesen wäre. Der Hochzeit ging oft ein öffentlicher Ringkampf voraus, der einerseits die Gleichberechtigung demonstrieren und andererseits der gegenseitigen Aufreizung dienen sollte, damit die Hochzeitsnacht befriedigend verlaufe. War der Mann zeugungsunfähig, so hatte die Frau nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, einen "Zeugungshelfer" zu suchen. Meist schlug der Ehemann für diesen Zweck einen besonders geschätzten Freund vor. Umgekehrt hatte aber auch jeder Spartiat das Recht, an einen Freund heranzutreten und diesen um Zugang zu seiner Frau zu bitten:

"So durfte ein rechtschaffener Mann und Vater wohlgeratener Kinder, sobald er an der Ehefrau eines anderen Mannes großen Gefallen fand, sich von diesem die Erlaubnis des geschlechtlichen Verkehrs erbitten, um gleichsam auf einem fruchtbaren Acker eine Pflanzung anzulegen und tapfere Knaben zu zeugen ..." [Plutarch, Lykurg XV 11-15]

Poliandrie, die Ehe einer Frau mit mehreren Männern, war zwar keine Norm , war aber erlaubt. Polygynie dagegen, die Ehe eines Mannes mit mehreren Frauen war unbekannt und hätte auch gegen das mutterrechtliche Prinzip der Erbfolge verstoßen. Wie die Ehe vor dem 30. war die Ehelosigkeit nach dem 35. Lebensjahr in Sparta verpönt, denn die Ehe war kein Privatakt, sondern Staatspflicht. Alte Junggesellen mußten kennzeichnende Kleidung tragen, wurden in der Öffentlichkeit verspottet und durften an bestimmten Tagen von verheirateten Frauen geohrfeigt werden. Im gegensatz zu Athen, wo die Ehefrau ihren Mann mit "Herr" anreden mußte, nannte der dorische Ehemann seine Frau "Herrin". Im Gegensatz zu Athen, wo die Frau keinen Rechtsstatus besaß, war die Spartanerin Rechtsobjekt und Rechtssubjekt und prozeß und eidesfähig. Vom Alter der Mündigkeit an verwalteten sie ihr eigenes Sippenvermögen. Grund und Boden lag in den Händen der Sippen, und da diese mutterrechtlich organisiert waren, in den Händen der Frauen. Über sogenanntes "bewegliches Privateigentum", in Sparta eher unüblich, hatten Männer und Frauen identische Rechte und Erbrechte.

Das Mutterrecht der Spartiaten unterschied sich vom Vaterrecht nicht etwa dadurch, daß beim einen der "Vater" und beim anderen die "Mutter" das Rechtssystem bestimmten, sondern durch eine grundsätzliche Absage des sexuellen Vorrechts. Dies gab beiden Geschlechtern in Sparta eine Reife, die wir bei den Athenern vermissen. Die mutterrechtliche Gesellschaft gab ihren Söhnen ein großes Maß an Sicherheit, da sie nun frei waren von der Zwangsvorstellung, ihre Männlichkeit Tag und Nacht unter Beweis stellen zu müssen.

Das vaterrechtliche Athen war unerhört reizbar und reagierte geradezu neurotisch, wenn irgend jemand seine "Männlichkeit" in Frage stellte. Sparta dagegen kämpfte, wenn es angegriffen wurde, aber griff niemals selbst an.

Trotz der Andersartigkeit war Sparta kein Paradies. Das lag an der Rückständigkeit der Produktionsmittel, an der Verachtung der Arbeit, an der Unterdrückung der Heloten und an der Unfähigkeit, sich sozialen Wandel vorzustellen. Das Dilemma einer solchen Gesellschaft, hervorgerufen durch einen sozialen und politischen Konservativismus, gepaart mit einer sexuellen Freizügigkeit, verwirrte ihre Nachbarn und selbst noch die Historiker Jahrtausende später.

An Sparta scheiden sich also bis heute die Geister. Das einzige dem Verfasser bekannte Buch, das sich mit der Rezeption Spartas im Mittelalter und der Neuzeit befaßt (Elizabeth Rawson: The Spartan Tradition in European Thought. Oxford: Clarendon Press, 1970), meint, daß die ersten Hinweise auf die moderne Auslegung der Worte "spartanisch" und "lakonisch" im 17. Jahrhundert zu finden seien, ihre heutige Bedeutung aber erst im Zeitalter der Pädagogik, also im 18. bis 19. Jahrhundert gewonnen hätten: Der Feudalismus war nach Meinung des Bürgertums verschwenderisch, schönrednerisch, unpünktlich, faul und genußsüchtig. Das Bürgertum, die neue Klasse des Mittelalters, strebte neue Tugenden an: Sparsamkeit, Schlichtheit, Zurückhaltung, Pünktlichkeit, Fleiß und Enthaltsamkeit. Da die ersten Ideologen des Bürgertums nicht wußten, daß die Spartaner keineswegs fleißig waren, bildeten sie sich ein, in den Spartiaten klassische Vorbilder ihrer Suche nach Fleiß, Sparsamkeit, Mäßigung und Keuschheit gefunden zu haben. So wurden die Vokabeln "spartanisch" und "lakonisch" zu bürgerlichen Parolen im Kampf gegen den Adel. Im deutschen Sprachgebrauch finden wir sie besonders häufig bei einer einschränkenden Kindererziehung. Die neuzeitliche Verwendung dieser Begriffe hat also recht wenig mit ihrer ursprünglichen Bedeutung zu tun. Das düstere Bild Spartas, das Herodot, Thukydides, Aristoteles und Plutarch gezeichnet haben, stimmt nicht mit den Befunden heutiger Forschung überein.

Bornemann meint, daß beide Bilder nichts mit dem wahren Sparta zu tun haben, sondern alle Vorstellungen über Sparta nur Projektionen von unseren gegenwärtigen Tugenden und Untugenden auf eine völlig anders geartete Gesellschaftsordnung sind, wie überhaupt sich eine antike athenische Demokratie oder spartanische Militärdiktatur nicht mit Demokratien und Diktaturen von heute vergleichen lassen. (Was aber fast alle Unterstufenlehrbücher tun!)

Im Frame gefangen? Klicken Sie hier um zur Hauptseite zu gelangen. 

© 1992 / 2005 Armin P. Pressler